Ein künstlerischer Rundgang, der Land und Leute valorisiert, ein interaktives und ausgedehntes Kunstprojekt, das durch die Franciacorta hindurch die beiden Herzen der italienischen Kulturhauptstadt 2023 miteinander verbindet.
Italienische Museen streben zunehmend danach, das traditionell konservative Konzept von Ausstellungsräumen aufzugeben und einen teilnehmerorientierten Ansatz für die Kunst zu verfolgen, die als Instrument für die Beteiligung und Integration in den Städten verstanden werden muss. Dieser Wunsch nach gemeinschaftlichem Wachstum – dem Claim von Bergamo Brescia Italienische Kulturhauptstadt 2023 – lebt im Kunstprojekt Vite Operose weiter, das von Valerio Rocco Orlando entwickelt wurde, in das Format Casa dei Talenti Berlucchi unter der Regie von Caroline Corbetta eingebettet ist und welches die Region Franciacorta ausgehend von den Menschen, die dort arbeiten, bewirbt. Und gerade der Fleiß ist das Grundthema einer Trilogie von Werken, die in Franciacorta beginnt und sich dann in den beiden Nachbarstädten entwickelt, um ein symbolisches Gespräch zu führen, an dem alle teilnehmen sollen.
Die erste Station dieser künstlerischen und önogastronomischen Tour ist die GAMeC (Galleria d’Arte Moderna e Contemporanea di Bergamo – Bergamasker Galerie für moderne und zeitgenössische Kunst), in deren Innenhof die zweite Neonskulptur von Vite Operose steht. Das Werk ist das Ergebnis des Engagements einer Gruppe von Studenten des Politecnico delle Arti in Bergamo, die sich unter der Leitung von Valerio Rocco Orlando mit der Beziehung zwischen dem Bildungssystem und der Arbeitswelt auseinandersetzten und schriftlich eine Reihe Gedanken verfassten, aus denen der Künstler die „beste“ Synthese bildete und sie dann in ein Kunstobjekt umwandelte. „Wer soll ich werden?“ ist die erhellende Frage, die den Ehrgeiz, die Zweifel und die Ängste junger Menschen beim Eintritt in die Arbeitswelt auf den Punkt bringt und die gesamte Bürgerschaft bei die Suche nach einer Antwort auf diese existenzielle Frage einbezieht.
Die Reise kann nicht anders als in der Franciacorta fortgesetzt werden, dem Gebiet, das das Projekt ins Leben gerufen hat und das die arbeitsame Dimension durch die Arbeit im Weinberg und im Weinkeller konkretisiert. Genau in einem Keller in Erbusco, dem von Terra Donata, wird das Ergebnis des Engagements von Maurizio aufbewahrt, der als Kind mit dem Traktor seines Vaters Giuseppe spielte und bei der Weinlese gerne Trauben zerdrückte, aber mit nur fünfzehn Jahren schon vorzeitig die Leitung des Unternehmens übernahm und sein Leben dem Land widmete, das ihm sein Vater und zuvor sein Großvater geschenkt hatte. Und dieses Erbe wurde nicht passiv bewahrt, denn Maurizio beschloss, etwas Edleres anzustreben als den stillen offenen Wein, der von Freunden und Familie getrunken wurde. So entstanden nach jahrelangen Experimenten zwei charaktervolle Franciacorta-Weine aus knapp einem Hektar Weinberg, die aus einer einzigen Ernte stammen und den höchsten Ausdruck von Chardonnay und Pinot Noir darstellen.
Diese Region ist in Sachen Weinanbau ebenso aktiv wie in der Gastronomie, und so lohnt es sich, vor dem Besuch eines weiteren Werks der Trilogie, im Restaurant Cadebasi Franciacorta vorbeizuschauen, das sich dazu entschlossen hat, typische Produkte der Franciacorta mit weniger traditionellen Zutaten zu kombinieren, und diese mit einem Menü aus warmen und kalten „Buffets“ anbietet, das die Kontamination zelebriert. Nach einem guten Mittagessen kann das Einchecken eine gute Gelegenheit sein, ein paar Stunden Ruhe zu genießen. Agriturismo Solive bietet Doppelzimmer und Zweizimmerwohnungen im ländlichen Stil mit herrlichem Blick auf die Franciacorta-Hügel an. Olivenhaine und Weinberge umgeben dieses Bauernhaus und schenken eine Atmosphäre der Ruhe für die Gäste, die Entspannung suchen.
Nur wenige Minuten entfernt befindet sich die Anlage, die den Anstoß zu dem von Cristina Ziliani, der Leiterin der Außenbeziehungen von Guido Berlucchi und Gründerin der Berlucchi Academy, initiierten Projekt gab. Die Akademie ist eine Talentschmiede, wo sich Talente treffen, um Ideen und Initiativen in den Bereichen Nachhaltigkeit, Gebietsschutz und Innovation zu entwickeln und zu diskutieren. „Arbeit hat viele Gesichter“ ist der Satz, den Valerio Rocco Orlando – wiederum in der Handschrift seines Autors – in die Neonskulptur auf dem Schloss Borgonato, direkt vor den Weinbergen, übertragen hat. Das Artefakt ist das Ergebnis eines Workshops mit einer Gruppe von Mitarbeitern der Guido Berlucchi, mit dem der Künstler die menschliche Geografie dieser Orte hervorheben wollte. «Wenn Arbeit ein Mensch wäre, wer wäre sie? Eine Schwester, eine Mutter, ein Kollege?». Dieses phantasievolle Bemühen nahm in den vielen Gesichtern der Arbeitsbiografie jedes Einzelnen Gestalt an und brachte die Gemeinschaft – die sich freiwillig an den Aktivitäten beteiligte – aus dem bequemen Pragmatismus heraus, der den Alltag im Unternehmen prägt, und schuf einen Denkanstoß, der so nützlich ist wie Fleißarbeit.
Man kann Borgonato nicht verlassen, ohne den historischen Keller aus dem Jahr 1680 zu besichtigen, in dem zehn Meter unter der Erde die erste jemals produzierte Flasche Franciacorta aufbewahrt wird, die aus der Begegnung von Guido Berlucchi mit dem jungen Önologen Franco Ziliani hervorging, der ihm sechs Jahre zuvor, im Jahr 1955, ein Wagnis vorgeschlagen hatte: „einen Schaumwein nach französischer Art“. Eine Intuition, die die Berufung eines ganzen Gebiets für immer veränderte.
Nach einer Verkostung der repräsentativsten „klassischen“, „edlen“ oder „exklusiven“ Etiketten des Unternehmens kann der Tag nur am Esstisch ausklingen. Das nur dreihundert Meter entfernte Ristorante Due Colombe al Borgo Antico ist Ausdruck eines gastronomischen Konzepts, das auf den Menschen und die Zusammenarbeit zwischen den Fachleuten setzt, um den Reichtum des Landes und des Sees zu sichern und steigern: Landwirte, Züchter und Fischer geben ihr Wissen und ihre Leidenschaft an die Köche weiter, die, in einer von der Küche vermittelten Erzählung, direkt an den Gaumen gelangen.
Der nächste Morgen beginnt in einer Weinkellerei in Paderno Franciacorta, die sich die „hartnäckige Suche nach Perfektion“ zu ihrem Leitmotiv gemacht hat: Camilucci bietet Besichtigungen nach Voranmeldung an, mit der Möglichkeit, seine bekanntesten Etiketten zu verkosten, vom „Antologie Blanc“ bis zum „Antologie Noir“, die (jeweils) aus reinen Chardonnay- bzw. Pinot Noir-Trauben hergestellt werden und nur in absoluten Spitzenjahrgängen produziert werden, bis hin zum „ST“, einem Brut nature in nummerierter Serie, der mindestens einhundertfünfzig Monate lang gereift ist.
Etwas weiter südlich befindet sich ein kompletter, zeitgemäßer und autarker Bauernhof, in dem die Schwestern Roberta und Romina Agosti das Konzept der „weiterentwickelten landwirtschaftlichen Traditionen“ anwenden. Il Colmetto beherbergt eine Herde von Saanenziegen und Romagnoli-Eseln, eine kleine Käserei mit Laden, Gewächshäuser, Felder und Gemüsegärten für den Eigenanbau von Gemüse, Obst und Getreide. Und das Restaurant wertet jedes Element mit seiner „landwirtschaftlichen Küche“ auf, die die Würde jedes Rohstoffs durch die Minimierung von Abfällen würdigt.
Die Reise durch den Fleiß der Franciacorta gipfelt im zeitgenössischen Skulpturenpark des Viridarium-Gartens des Museums von Santa Giulia, einem einladenden Ort, der die tiefe Verbindung zwischen Gegenwart und Zukunft veranschaulicht. „Formiamo Umanità“ (Wir bilden Menschheit) ist die dritte und letzte Skulptur des Zyklus, die aus einer Reihe von Treffen mit einer Gruppe von Kulturvermittlern entstanden ist. Etwa hundertvierzig ethnische Gruppen leben in der Provinz Brescia zusammen, die sie auch und vor allem durch ihre Arbeit aufnimmt, und diese beiden Worte sollen der Anstoß für eine neue Interpretation der Stadt sein, die nicht mehr nur ein touristisches Ziel ist, sondern ein Raum für interkulturelle und generationenübergreifende Bildung, in dem alle voneinander lernen können.
